Der große Fahnen-Kirschflecksalmler, Hyphessobrycon erythrostigma

Es war schon ein beeindruckender Anblick, als ich Ende der 1950er Jahre im großen Gewächshaus des Hamburger Botanischen Gartens die stattlichen hochrückigen Salmler in einem 1800-Liter-Aquarium, das überwiegend mit Riesenvallisnerien bepflanzt war, ruhig zwischen den Wasserpflanzen stehen sah. Besonders die großen Männchen dieser kleinen Gruppe mit ihrem prächtigen fahnenartigen Flossenschmuck hatten gut und gerne von der Schnauzenspitze bis zum Schwanzflossenende eine Länge von annähernd 10 cm erreicht! Aber es sollten noch einige Jahre ins Land gehen, ehe ich das Glück hatte, in den Besitz dieser schönen Fische zu gelangen, zudem im Fachhandel meistens der kleinere Verwandte Hyphessobrycon socolofi angeboten wurde.

 

Historie: 1956, als Hyphessobrycon erythrostigma erstmals nach Deutschland importiert wurde und bald bei den Aquarianern für Aufsehen sorgte, ging man noch davon aus, dass es sich bei dieser Neuheit um eine „Solitär-Art" handelt, d. h. ohne irgendeine nahe stehende Art oder Unterart. Später stellte sich diese Vermutung als Irrtum heraus. Allerdings vergingen noch Jahre, bis Wissenschaftler herausfanden, dass außerdem noch zwei so genannte Stellvertreterarten im Dreiländereck Brasilien-Peru-Kolumbien heimisch sind!

Wissenschaftlich bekannt geworden ist Hyphessobrycon erythrostigma durch den bekannten amerikanischen Ichthyologen Henry W. Fowler 1943, hingegen in der Aquaristik für lange Zeit unter dem Synonym H. rubrostigma, denn der Ichthyologe J. J. Hoedeman in der DATZ 1956 die Art als H. rubrostigma beschrieben. Wie dem auch sei, es mag ursächlich an der „Winzigkeit" des eingesandten Materials gelegen haben. Die im Bericht angegebenen Längen betrugen bei der Holothype 27,1 mm und die der Parathypen 26,1-23,1 mm. Aufgrund dessen hielt Hoedeman die Salmler für eine neue Form aus dem „Callistes-Kreis". Nebenbei stammten die sieben kleinen Salmler aus einem Teilgebiet Kolumbiens, die Dr. Werner Ladiges von Aquarium Hamburg zwecks Zuordnung übersandte, und zwar unter dem vorläufigen Namen „Tetra Perez". Übrigens konnte sich dieser Name auch später unter den Aquarianern nicht durchsetzen. Den Zuordnungsbericht Hoedemans, der im Museum Amsterdam tätig war, vervollständigte Dr. Ladiges durch eine Handzeichnung. Eine kuriose Begebenheit ging der Bestimmung des kleineren Verwandten Hyphessobrycon socolofi durch den amerikanischen Ichthyologen Stanley H. Weitzman, 1977 voraus. Danach wurde Weitzman 1971 in einem Washingtoner Zoogeschäft erstmals auf diesen Salmler aufmerksam, bei dem ihm einige unterschiedliche Merkmale auffielen.

 

Eine weitere Art, die früher häufig mit dem Fahnen-Kirschflecksalmler verwechselt wurde, ist der recht seltene Rotrücken-Kirschflecksalmler, Hyphessobrycon pyrrhonotus. Ein Fisch der schon häufig als Beifang unter gesammelten Fahnen-Kirschflecksalmlern auftauchte, aber aufgrund seiner auffälligen Farbnuancen kurzerhand für dominante Männchen der schon bekannten Art gehalten wurde und das, obwohl die äußere Linie der Rückenpartie deutlich anders verläuft. Taxonomisch wurde die dritte Art erst im Jahre 1993 durch den Amerikaner Dr. Warren E. Burgess klassifiziert.

Die Pflege und Zucht: Für Aquarianer, die schon einige Erfahrungen im Umgang mit Salmlern sammeln konnten, sind die vorgestellten Arten problemlos zu pflegen. Auch die Frage, ob man sich für ein Art- oder Gesellschaftsbecken entscheiden sollte, bleibt in diesem Fall zweitrangig. Von der Form her sind lang gestreckte Aquarien ab einer Kantenlänge von 1 m am zweckmäßigsten. Bei der Einrichtung des Aquariums ist besonders auf eine salmlergerechte Gestaltung zu achten: d. h. neben einem ausreichenden Schwimmraum sind dicht bepflanzte Rand- und Hintergrundbereiche unerlässlich. Auch dürfen beschattete Ruhezonen nicht fehlen, in die sich die Salmler gerne zeitweilig zurückziehen. Aufgrund von Biotopbeobachtungen wissen wir, dass in den Bächen der tropischen Regenwälder ständig auch tagsüber ein diffuses Dämmerlicht herrscht. Die Wassertemperatur schwankt zwischen 24,1 und 27,5 °C. Der durchschnittliche pH-Wert liegt bei 5,2-6,5. Zudem fließt in diesen Waldbächen ein sehr weiches Wasser mit einer kaum nachzuweisenden Härte mit einer geringen Leitfähigkeit, z. B. nahe 13 µs/cm.

Die Ernährung dieser Salmler bereitet kaum Probleme, zumal sie zu den Allesfressern gehören. Allerdings wird eindeutig mittelfeines Lebendfutter bevorzugt. Sofern man nicht züchten will, vertragen zumindest die Aquarienstämme auch mittelhartes Wasser.

Die Chancen, zu einem Zuchterfolg zu kommen, sind aufgrund der heutigen Analysemöglichkeiten und den vorgegebenen Parametern auch für den Durchschnitts-Aquarianer deutlich gestiegen. So ist Dank des technischen Fortschritts die Umkehrosmose heutzutage die wohl eleganteste Lösung, benötigtes Zuchtwasser aufzubereiten und wer als Hobbyzüchter kein Osmosegerät besitzt, kann in einem guten Zoofachgeschäft kanisterweise Osmosewasser zu einem geringen Preis beziehen.

Richtig aber ist, dass hinsichtlich dieser modernen Techniken vieles einfacher geworden ist, dennoch gehört es nach wie vor zu den reizvollsten Aufgaben des angehenden Züchters, die erforderliche Anzahl halbwüchsiger Jungfische einzukaufen und für abwechslungsreiches Futter zu sorgen, um dann später ein geeignetes Zuchtpaar herauszufinden.

Sozusagen eine Pilotfunktion unter den Hyphessobrycon-Arten nimmt der altbekannte Schmucksalmler, H. bentosi, ein. Seine Verhaltensweisen wie z. B. der „Flattertanz" der adulten Männchen sowie bestimmte für einen Zuchterfolg notwendige Maßnahmen, sind für die meisten Arten dieser Gattung identisch.

Das gilt vor allem für den Blaurücken-Kirschflecksalmler, Hyphessobrycon socolofi. Die Männchen erreichen eine Totallänge von nur 4,5 cm, die Weibchen bleiben im Gegensatz zu den beiden größeren Arten geringfügig kleiner, auch fehlt den Männchen die fahnenartige Rückenflosse. Leider ist die Art kurzlebiger (etwa zwei bis drei Jahre) als der stattliche Verwandte, dessen Männchen eine Totallänge von bis zu 10 cm erreichen können. Dagegen klappt es bei der Nachzucht um so besser, so dass man unter Verwendung eines Laichrostes mit bis zu 250 Laichkörnern pro Ansatz rechnen kann.

Im Gegensatz zur vorigen Art sind Erfolgsmeldungen bei der Zucht von Hyphessobrycon erythrostima anzuzweifeln, zumal seitens des Großhandels überwiegend nur halbwüchsige Jungtiere angeboten werden, bei denen eine Unterscheidung der beiden Kirschflecksalmler nur schwer möglich ist. Auch der bekannte Buchautor H. Stallknecht vertritt die Ansicht, dass es sich allemal um H. socolofi handelt und Züchter lediglich die Arten verwechselt haben. Abgesehen davon liegen die Meinungen anderer Autoren nicht weit auseinander: Nach H. Stallknecht, Dr. R. Riehl und H. Pinter sind Nachzuchten bei H. erythrostigma ungesichert bzw. zufällig oder mit äußerst geringem Erfolg gewesen. Bei meinen Recherchen in der aquaristischen Literatur ab 1956 hat mich ein Bericht des bekannten Autors W. Ewald im Aquarien-Magazin 1982 (16. Jahrgang: 88-90) ganz besonders beeindruckt. Vor allem stimmte der Artname mit dem abgedruckten Farbfoto überein; dies ist leider nicht immer der Fall. Zudem ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Zuchtpaar um Wildfänge handelte. Es folgen lesenswerte Angaben über Vorbereitungen und Beschaffenheit des Zuchtwassers, der Balz un-mittelbar vor der Laichabgabe, die durch den so genannten Flattertanz des Männchens eingeleitet wird und das Verhalten des Paares während des Laich-vorgangs. Abgelaicht wurde in Torffaserbündeln oder Pflanzen. Nach Entfernung des Zuchtpaares sind nach Ewald die nächsten 24 Stunden die kritischsten. So ist es fraglich, ob überhaupt die glassplitterähnlichen Fischlarven schlüpfen. Auch muss man damit rechen, dass bei dieser Art die Verlustrate besonders hoch ist und nach einigen Tagen nur noch wenige Jungfische übrig bleiben. Dennoch stellt der bekannte Züchter das Ergebnis als Riesenerfolg dar. Man kann die Begeisterung des Züchters gut verstehen, weil sich dieser Erfolg erst nach acht Zuchtversuchen einstellte. Allerdings mussten z. B. über 640 l Quellwasser transportiert werden. Daran gemessen, war eigentlich das Ergebnis niederschmetternd. Übrigens liegen meines Wissens vom Rotrücken-Kirschflecksalmler, H. pyrrhonotus, noch keine Zuchtberichte vor.

 

 

 

Wolfgang Voigt